Blue October von Houston nach Heidelberg

«bäckstage auf Achse»: Blue October

Heidelberg ist nicht nur die Stadt der Druckmaschine sondern auch die der Wissenschaft. Die Universität erfreut sich grösster Beliebtheit bei Studierenden aus dem In- und Ausland. Shoppingfreunde laben sich an der 1.6 km langen Einkaufsmeile – die längste in Europa. Naturliebhaber schlendern den Neckar entlang oder erklimmen den Philosophenweg, der schon in Werken von Goethe, Hölderlin und Eichendorff Beachtung fand. Der Pfad windet sich relativ steil vom Neckarufer in Richtung Weinberge. Oben angekommen geniesst der tüchtige Wanderer vom Philosophengärtchen aus einen fantastischen Blick über die Heidelberger Altstadt mit seiner imposanten Schlossruine bis weit über die gesamte Rheinebene.

 

Liebe, Hass, Depressionen - die Musik ist Justin Fuerstenfelds Therapie


Soviel Heidelberg auch zu bieten hat - das Ziel von «Bäckstage auf Achse»  ist heute die umgebaute Lagerhalle des ehemaligen Güterbahnhofs, namentlich Halle 02, in der Nähe des Hauptbahnhofes. Hier steht diesen Abend die aus Houston/Texas stammende Rockband Blue October auf der Bühne. Für einmal heisst es aber nicht «Houston, we have a problem» sondern «Heidelberg, let’s rock!». Wem Blue October nichts sagt: Leadsänger Justin Fuerstenfeld gründete die Band 1995 zusammen mit seinem Bruder und Schlagzeuger Jeremy. 2003 lieferte Blue October mit dem Song Calling You den Soundtrack zum dritten Teil des legendären Films American Pie.


Die Band spielte schon auf den grossen Bühnen dieser Welt. Was die Musik aber so besonders macht: Die oft melancholischen, aber raffinierten Melodien und die durch Mark und Bein gehende Stimme von Justin Fuerstenfeld. Der Sänger leidet seit Jahren an Depressionen. Wie schwer sein Leben ist, wie sehr er immer wieder dagegen ankämpft – dies alles spiegelt sich in den tiefschürfenden Songtexten. Die Band ist für Justin Fuerstenfeld der einzige Weg, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Die Musik ist seine Therapie. Im sechsten und neuesten Studio-Album «Any Man in America» (erschienen im August 2011) verarbeitet der Sänger seine Scheidung und den Sorgerechtsstreit um seine Tochter. Die Worte an sie in der Widmung auf der CD gehen direkt ins Herz.


Die Halle ist nicht ausverkauft, aber trotzdem gut besucht. Justin Fuerstenfeld sucht den Kontakt zum Publikum. Vom ersten Ton an hat er die Zuhörer auf seiner Seite. Spätestens beim Song «Hate Me» hat auch der abgeklärteste Konzertbesucher Gänsehaut. Ein weiteres Highlight: Das von allen Bandmitgliedern zusammen geschriebene «The Feel Again». Die Band wird frenetisch gefeiert – es war ein grossartiges und vor allem auch sehr persönliches Konzert. Wer jemals die Chance hat, Blue October live zu sehen, sollte sich diese nicht entgehen lassen.

Linda von Euw / Do, 01. Dez 2011